Weitaus mehr Menschen als früher leiden an Diabetes und krankhaftem Übergewicht, erkranken an Krebs oder sind unfähig, Kinder zu zeugen. Eine beachtliche Anzahl wissenschaftlicher Befunde lässt kaum Zweifel daran, dass zahlreiche Chemikalien, die uns im Alltag umgeben, bei dieser Zunahme chronischer Krankheiten eine Rolle spielen. Es scheint, als seien die Menschen Teil eines chemischen Experiments, ohne davon zu wissen. Die Gesundheitssysteme werden den Herausforderungen, die daraus erwachsen, kaum gewachsen sein. Das Experiment hinterlässt den kommenden Generationen ein vergiftetes Erbe.
Das Projekt „Chemikalien und Gesundheit in Europa“ der Health and Environment Alliance (HEAL) setzt sich für eine stärker auf Vorsorge ausgerichtete Chemikalienpolitik in Europa und auf der Welt ein HEAL möchte erreichen, dass durch eine solche Regulierung die Umwelt, die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen besser geschützt werden. Wir möchten zu öffentlichen Diskussionen beitragen und betreiben Sensibilisierungs – und Informationsarbeit vor wichtigen politischen Entscheidungen. Dabei basieren die HEAL-Standpunkte ausschließlich auf grundlegenden Ergebnissen aus der Gesundheitsforschung und Umweltmedizin.
Obwohl die Europäische Union (EU) hohe und innovative Standards im Umgang mit Chemikalien gesetzt hat, die weltweit als Modell gelten (wie das EU-Chemikaliengesetz REACH), bestehen doch weiterhin erhebliche Gesetzeslücken. Das gilt vor allem für den Schutz vor gleichzeitig einwirkenden und sich dabei verstärkenden Einflüssen von Chemikalien. Je mehr wir über die Funktionsweise von Hormonen und insbesondere von „Endokrinen Disruptoren“ wissen, die in den Hormonstoffwechsel eingreifen, desto deutlicher wird die Notwendigkeit, Menschen selbst vor geringen Dosen dieser Schadstoffe zu schützen, vor allem während sensibler Entwicklungsphasen (zum Beispiel im Mutterleib).
Das Infoportal „Chemikalien und Gesundheit in Europa“ vermittelt wissenschaftlich fundierte Informationen zum Zusammenhang von Chemikalien und Gesundheit. Es informiert so Bürgerinnen und Bürger über aktuelle Fragen der öffentlichen Gesundheit und fördert damit die erfolgreiche Umsetzung der EU-Chemikaliengesetzgebung.
Die internationale Nichtregierungsorganisation Health and Environment Alliance (HEAL) vertritt über 65 Interessengruppen und Netzwerke. Sie will aufzeigen, wie politische Entscheidungen zum Umweltschutz die Gesundheit der Menschen verbessern und ihre Lebensqualität erhöhen können. Unsere Allianz bringt Gruppen aus dem medizinischen Sektor wie Ärzte – und Krankenpflegeverbände zusammen, aber auch Krebs- und Asthmapatienten, Bürger – und Frauenrechtsorganisationen, UmweltNGOs, wissenschaftliche Institute und Krankenversicherer. Unsere Mitglieder sind von der internationalen über die europäische zur nationalen und kommunalen Ebene aktiv.
Partnerschaften und Kooperationen
HEAL ist Mitglied folgender Expertengruppen und Netzwerke:
Task Force der Weltgesundheitsorganisation WHO zu Umwelt und Gesundheit
Ausschuss der Mitgliedsstaaten der EU-Chemikalienagentur ECHA
ECHA Managementvorstand
Beratende Gruppe der ECHA zu Diskriminierung
ECHA Expertengruppe zu Endokrinen Disruptoren
Beratergruppe der EU zu Endokrinen Disruptoren
Ad Hoc Gruppe der EU zu EDCs
Internationales Netzwerk zur Eliminierung von Persistenten Organischen Schadstoffen (IPEN)
HEAL stützt sich bei seinen Bemühungen für Umwelt-und Gesundheitsschutz auf die Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Collaborative on Health and the Environment (CHE) , wodurch die wissenschaftliche Debatte über Umweltauswirkungen auf Gesundheit intensiviert wird.
HEAL hat auch die Leitung des Zusammenschlusses zu einem EDC freien Europa, mit der eine Allianz von von Interessensgruppen aus mehr als 50 Ländern ihrer Besorgnis über Endokrine Disruptoren Ausdruck verleiht. Die Koalition formierte sich 2013 und bemüht sich seitdem, auf die Problematik der hormonell aktiven Stoffe aufmerksam zu machen und Entscheidungsträger zum Handeln aufzufordern.
Was wissen wir?
Weitaus mehr Menschen als früher leiden an Diabetes und krankhaftem Übergewicht, erkranken an Krebs oder sind unfähig, Kinder zu zeugen. Eine beachtliche Anzahl wissenschaftlicher Befunde lässt kaum Zweifel daran, dass zahlreiche Chemikalien, die uns im Alltag umgeben, bei dieser Zunahme chronischer Krankheiten eine Rolle spielen. Es scheint, als seien die Menschen Teil eines chemischen Experiments, ohne davon zu wissen. Die Gesundheitssysteme werden den Herausforderungen, die daraus erwachsen, kaum gewachsen sein. Das Experiment hinterlässt den kommenden Generationen ein vergiftetes Erbe.
Risikogruppe Kinder
Kinder sind empfindlicher gegenüber schädlichen Einflüssen als Erwachsene, da sich alle ihre geistigen und körperlichen Funktionen in Entwicklung befinden. Die sensibelste Phase der Frühentwicklung ist die im Mutterleib. Während der Schwangerschaft, so die jüngsten Forschungsergebnisse, können sogar geringe Dosen von Schadstoffen, etwa von hormonell aktiven Substanzen, erheblichen Einfluss auf die Entwicklung nehmen.
Alzheimer
Alzheimer ist die weltweit am weitesten verbreitete Erkrankung des Gehirns, die zu Gewebeverlust und Demenz führt. Die Suche nach umweltbedingten Risikofaktoren für Alzheimer ist ein noch junges Forschungsgebiet, und im Vergleich zu anderen Krankheiten liegen nur wenige Untersuchungen zum möglichen Einfluss von Schadstoffen vor. Derzeit mehren sich aber die ersten Befunde zu derartigen Zusammenhängen, wobei die Suche nach Verbindungen zu Metallen (Blei, Aluminium, Zink, Kupfer) sowie zu Pestiziden, PCB und Feinstaub im Mittelpunkt der Forschung steht.
Aufmerksamkeitsstörung (ADSH, ADS)
Entwicklungsstörungen des Nervensystems wie Lernbehinderungen, Aufmerksamkeitsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten, haben bei Kindern weltweit dramatisch zugenommen. Die Entwicklung des kindlichen Gehirns ist geprägt vom komplexen Zusammenspiel genetischer, umweltbedingter und sozialer Faktoren, was es schwierig macht, Ursachen und Wirkungen miteinander in Verbindung zu setzen.
Für Europa liegen jedoch eindrucksvolle Daten vor, die nahelegen, dass die Hirnentwicklung von Tausenden von Kindern durch die Exposition gegenüber den Umweltschadstoffen, die unter der Abkürzung PCBs zusammengefasst werden, geschädigt wurde. In ähnlicher Weise wird auch vermutet, dass Blei und Quecksilber die Gehirnfunktion vieler Kinder in ganz Europa beeinträchtigt haben. Quecksilber und PCBs werden meist über die Nahrungskette aufgenommen, während Mütter und Kinder mit Blei meistens über alte Farben und Wasserrohre in Kontakt kommen.
Der Weltgesundheitsorganisation WHO sind hinreichend Forschungsergebnisse bekannt, um einen Zusammenhang zwischen den Aufmerksamkeitsstörungen und Umweltchemikalien plausibel erscheinen zu lassen.
Brustkrebs
Brustkrebs und Prostatakrebs – zwei Krebsarten, die von Sexualhormonen beeinflusst werden – gehören heute zu den häufigsten Krebserkrankungen weltweit. In den vergangenen 30 Jahrensind die Fallzahlen um 97 % angestiegen. Dies ist auch der Zeitraum, in dem unser Kontakt mit chemischen Stoffen rasant zugenommen hat.
Neben den traditionellen Risikofaktoren sind nachweislich natürliche und synthetische Chemikalien an der Entstehung von Brustkrebs beteiligt. Vieles deutet darauf hin, dass hormonell aktive Substanzen, die im Körper eine östrogenartige Wirkung entfalten können (Endokrine Disruptoren, ED), ebenfalls die Entstehung von Brustkrebs fördern könnten.
Diabetes
Diabetes-Spezialisten erkennen inzwischen an, dass bestimmte Chemikalien und Schwermetalle eine Rolle bei der Entstehung von Diabetes spielen könnten. In einer Studie, die 2011 in der Fachzeitschrift Diabetologia erschien, beschreiben die Autoren, wie Umweltschadstoffe die Insulin-bildenden Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse schädigen: Bisphenol A (BPA), PCBs, Dioxin, bestimmte Pestizide, Arsen, Schwermetalle und weitere Substanzen können die Funktionsweise der Beta-Zellen beeinflussen, deren Fähigkeit, Insulin zu produzieren behindern und eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von Typ-2-Diabetes spielen.
Laut einer spanischen Studie erwies sich BPA als möglicher Einflussfaktor auf den Glukosestoffwechsel. Schwedische Wissenschaftler haben Blutproben auf den Gehalt von Phtalaten (vermutlich hormonell aktive Stoffe) überprüft. Sie stellten fest, dass die Wahrscheinlichkeit, Typ-2-Diabetes zu entwickeln, bei den Spendern mit hohem Anteil von Phtalaten im Blut doppelt so hoch war.
Der jüngste Forschungsreport der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigt auf, dass die chemischen „Dickmacher“, die in Tierversuchen als Auslöser von Fettleibigkeit identifiziert wurden, mit einer veränderten Glukosetoleranz einhergehen und die Insulinresistenz verringern – beides Anzeichen von Diabetes.
Diabetes breitet sich in Europa wie eine Epidemie aus. Die Zahl neuer Krankheitsfälle hat sich in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt und wird vermutlich jährlich um 1% steigen. Die Krankheitsraten variieren dabei stark: in Island ist jeder 65. in der Altersgruppe der 20 bis 79-Jährigen betroffen, in Deutschland und Zypern jede/r Zwoelfte.
Fortpflanzungsstörungen
In einigen europäischen Ländern hat einer von fünfgeschlechtsreifen Jungen eine so geringe Spermiendichte, dass er möglicherweise Schwierigkeiten haben wird, jemals ein Kind zu zeugen. Grund dafür könnte eine Störung der männlichen Hormone durch Umweltschadstoffe sein. Bestimmte Chemikalien – endokrine Disruptoren – wirken stark auf den Hormonhaushalt ein . Eins von sechs Paaren in Großbritannien hat heutzutage Schwierigkeiten, ein Kind zu bekommen. In Frankreich ist die Spermiendichte über einen Zeitraum von 16 Jahren um ein Drittel gesunken. In Spanien wurden ebenfalls dramatisch abfallende Werte gemessen.
Die Ergebnisse von Tierversuchen deuten an, dass das ganze Spektrum von Fehlbildungen im Bereich der männlichen Sexualfunktion (Testikuläre Dysgenesie) in Verbindung mit einer Schadstoffexposition im Mutterleib gebracht werden kann. Es wurde auch nachgewiesen, dass Phtalateinwirkung während der Schwangerschaft eine Ursache für Hodenhochstand sein kann. Phtalate, die als Weichmacher in Plastik vorkommen, sind vermutlich hormonell aktiv. In Tierversuchen wurde festgestellt, dass eine Belastung mit Bisphenol A (BPA) im Mutterleib oder während der frühkindlichen Entwicklung zu bleibenden Störungen der Sexualfunktion führen kann. Aucheine sehr frühe Pubertät oder Fruchtbarkeitsprobleme können auf BPA zurück gehen. Auch in fleckenabweisenden Materialien und Anti-Haftbeschichtungen stecken endokrine Disruptoren, die sich negativ auf die Fortpflanzungsfähigkeit auswirken.
Der neueste Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) über hormonell aktive Chemikalien bestätigt, dass diese Stoffe Anlass zur Sorge geben, nicht zuletzt wegen der oben genannten Fruchtbarkeitsstörungen.
Hodenkrebs
Eine Krebsart, die sich auf die Produktion von Geschlechtshormonenauswirkt, ist der Hodenkrebs. Hier ist nach der Krebstherapie häufig die Testosteronproduktion beeinträchtigt.Obwohl relativ selten, nimmt die Zahl der Fälle zu, vermutlich werden sich die Raten alle 30 Jahre verdoppeln. In Dänemark, einem Land mit vergleichsweise hohem Hodenkrebsvorkommen, könnte 1 Prozent der Männer betroffen sein.
Ein Erklärungsansatz für Hodenkrebs ist eine gestörte Embryonalentwicklung. Die Exposition des Embryos gegenüber sogenannten Endokrinen Disruptoren (ED), das sind Chemikalien, die in das hormonolle Steuerungssystem der Embryonalentwicklung eingreifen können, könnte die Hodenentwicklung stören und im späteren Leben eine Erkrankung an Hodenkrebs nach sich ziehen.
Parkinson
Parkinson ist eine neurologische Erkrankung, die mit Verlust von Nervengewebeim Gehirn einhergeht. Charakteristische Symptome sind Störungen der Motorik und des Sprechapparats. Die Krankheit geht auf den Verlust von Nervenzellen im dem Teil des Gehirns zurück, der die Bewegung koordiniert.
Es liegen schon lange zahlreiche Studien vor, die eine Verbindung zwischen der Krankheit und Umweltschadstoffen herstellen. Zwar konnte noch keine bestimmte Chemikalie als Auslöser identifiziert werden, es wird aber angenommen, dass die Aufnahme niedriger Mengen von Pestiziden über eine längeren Zeitraum das Risiko einer Parkinson-Erkrankung erhöht. Abgesehen von Pestiziden werden auch Lösungsmittel (entweder hoher oder dauerhafterKontakt) und weitere Schadstoffe aus der Landwirtschaft als mögliche Auslöser angesehen.
Prostatakrebs
Bei jedem vierten Krebsfall bei Männern handelt es sich heute um Prostatakrebs. Prostatakrebs ist hormonabhängig und steht in Verbindung zu den Geschlechtsorganen.
In den vergangenen 30 Jahren ist die Zahl der Prostatakrebsfälle um 271 % gestiegen. Dabei ist auffällig, dass immer mehr junge Männer betroffen sind. In diesem Zeitraum haben die Einflüsse von Chemikalien auf unsere Körper rasant zugenommen.
Als etablierte Risikofaktoren, die die Entstehung von Prostatakrebs begünstigen, gelten das Alter, die Krankheitsgeschichte der Familie und die Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen. Im jüngsten Forschungsreport der Weltgesundheitsorganisation (WHO) heißt es, dass Pestizide an der Entstehung von Prostatakrebs beteiligt seien: „Es gibt hinreichend Forschungsbefunde, die es gestatten, eine Verbindung herzustellen zuPestiziden, die in Landwirtschaft und Industriezur Anwendung kommen, sowie zu Cadmium und Arsen.“
Aus Tierversuchen kann geschlossen werden, dass eine Exposition gegenüber geringen Mengen des hormonell aktiven Bisphenol A während bestimmter Entwicklungsphasen die Wahrscheinlichkeit für eine spätere Erkrankung an Prostatakrebs erhöht.
Übergewicht (Adipositas)
Die Zahl der Personen, die an krankhaftem Übergewicht leiden, hat sich in vielen europäischen Ländern seit den 1980er Jahren verdreifacht, und die Zahlen steigen weiterhin dramatisch an. Seit Beginn der 1990er Jahre hat sich die Rate der Übergewichtigen in der Europäischen Unionmehr als verdoppelt. Das Problem betrifft nun einen von sechs Erwachsenen in Europa.
Wissenschaftliche Untersuchungen zur Rolle von Chemikalien bei der Enstehung von Fettleibigkeit liegen in großer Anzahl vor. Einige der als “Endokrine Disruptoren” bekannten Substanzen wurden als Auslöser für krankhaftes Übergewicht identifiziert, da sie den Stoffwechsel so umprogrammieren können, dass vermehrt Fettzellen produziert werden.Zahlreiche Tierversuche haben gezeigt, dass DDT und andere langlebige Schadstoffe sich im Fettgewebe anreichern. Von dort aus wirken sie sich auf die Bildung von Fettzellen und auf den Insulinspiegel aus.
Im jüngsten Forschungsreport der Weltgesundheitsorganisation (WHO) über die Effekte hormonell aktiver Chemikalien bei Menschen schließen die Autoren aus Tierversuchen, dass deren Einwirkung auf Schwangere bei den Nachkommen im Erwachsenenalter zu Stoffwechselstörungen, Gewichtszunahme und Typ-2-Diabetes führen kann.
Andere Krankheiten
Eine große Anzahl weiterer Krankheiten steht vermutlich in Zusammenhang mit der Einwirkung von Umweltschadstoffen. Dazu gehören zum Beispiel der vorzeitige Eintritt in die Pubertät bei Mädchen, Fruchtbarkeitsprobleme bei Frauen, Krebsbefall der Eierstöcke und der Gebärmutter, Schilddrüsenkrebs, Asthma. Diese gesundheitlichen Probleme treten immer häufiger auf, so dass man annimmt, dass Umwelteinflüssen zu den Ursachen zählen. Immer mehr Forschungsergebnisse bestätigen diesen Verdacht.